20 Dezember 2015

Rezension: "Eine kurze Liste mit Forderungen" von Bernd Begemann und Die Befreiung. – Das Leben in Miniaturen.

Bernd Begemann ist so etwas wie der - nie ganz in den Fokus der breiten Öffentlichkeit gerückte - Tausendsassa des deutschen Pop. Mit seinem neuen, 28 Titel starken Album "Eine kurze Liste mit Forderungen" durchstreift er einmal mehr dieses merkwürdige Deutschland und lädt ganz beiläufig Alltagsbeobachtungen mit Bedeutung auf. 

Bernd Begemanns Lieder sind Miniaturen. Alle erzählen sie in einem möglichst beiläufigen Ton von alltäglichen Begegnungen und Gegebenheiten, besingen Sehnsüchte und Fantasien, schwärmen von hübschen Mädchen, lassen auch die Dramatik des Alltags nicht unerwähnt und sind am Ende doch immer ein kurzer Moment des Glücks im Ohr des Hörers. 

Der gebürtige Ostwestfale, der mit seiner Band "Die Antwort" als stilprägend für die "Hamburger Schule" galt, ist ein rastloser Musiker, der pausenlos durch die Lande tourt und in den kleinsten Klubs jeder noch so kleinen Stadt vor auch nur ein paar zahlenden Zuschauern spielt. In einem Interview mit mir hat er das mal so zusammengefasst: "Ein Sänger sollte singen." - Genau das tut er. Schon über mehrere Jahrzehnte hinweg. Seine Musik lebt immer von einer sehr markant und eigenwillig gespielten E-Gitarre, die einen hohen Wiedererkennungswert hat, großen Refrains und Songtexten, die irgendwo zwischen Tragik und Humor zu verorten sind. Dann und wann sind seine Lieder dem reinen Schlager sehr nahe, dann wieder zaubert er eine Indie-Nummer vom Feinsten aus dem Hut. - Diese Mischung, die er seit einigen Jahren mit seiner großartigen Band "Die Befreiung" noch verfeinert hat, macht Begemann zu einer deutschen Pop-Institution. Wer unser Land verstehen will, sollte Bernd Begemann hören.
Sein neues Album "Eine kurze Liste mit Forderungen" ist einmal mehr ein Beweis für die einzigartige Stellung, die Bernd Begemann im deutschen Pop hat. Ohne dass man es ihm übel nehmen könnte, besingt er Frankfurts Skyline ("Die besoffene Fahrerin") oder poltert: "Mehr als Erfolg brauch' ich das Gefühl, euch weiterhin alle scheiße finden zu dürfen!"
Ein wirkliches Kleinod ist der Song "Jeden Abend sagst du sowas", der einem Gefühl nachgeht, das jeder von uns irgendwann einmal erlebt hat. Das langsame Entschwinden des Partners durch Worte und Taten - meistens in Momenten größtmöglicher Nähe.
Der Song "Sie fuhr einen lila Twingo" wartet mit der Feststellung auf: "So oder so ist alles vorbei!" Er ist eine gut getarnte Sozialkritik. Ein Ausbildungsplatz oder ein Studium schreiben einem einen doch recht linearen Lebensweg vor, dem man nur mit großer Mühe entfliehen kann. - Alles in allem ist Bernd Begemanns neues Album ein abwechslungsreiches Album, voller Anspielungen auf gesellschaftliche Zustände, die er mit Mitteln des Schlagers, der Indie-Hymne oder gospelartigen Chören, zu beschreiben sucht. 

"Eine kurze Liste mit Forderungen" ist - wenn man so will - eine soziologische Zustandsbeschreibung, ein Album aus der Beobachterposition heraus. Manch einer mag sich fragen, was Bernd Begemann eigentlich genau fordert, was ihn bewegt hat genau diese Phänomene zu beschreiben oder zu besingen. Manch anderer wiederum wird sich fragen, ob das Album wirklich als Zustandsbeschreibung anzusiedeln ist oder einfach nur das soll, was es tut. Verdammt viel Spaß machen! 
Denn so oft man sich von Begemann ertappt fühlt, so oft muss mein einfach nur herzlich lachen.

7,0 von 10

21 Oktober 2015

Kommentar: Schärft Eure Wörter gegen den Hass!

Es sind schockierende Taten, die uns in den letzten Tagen ein ums andere Mal erschaudern und zusammenzucken lassen. Anschläge auf Flüchtlingsheime in ganz Deutschland, ein Attentat auf die parteilose Kandidaten für das Bürgermeisteramt in Köln, Henriette Reker, und menschenverachtende, hetzerische Reden und Parolen auf den Pegida-Demonstrationen in Dresden. Ganz zu schweigen von den derben und verrohten Äußerungen vieler Menschen auf Facebook, die ihren Rassismus, ihren Fremdenhass und ihre Gewaltbereitschaft öffentlich kundtun.


Das Wort ist eine mächtige Waffe. Welche Wörter wir gebrauchen, um über ein bestimmtes Thema zu sprechen kann festlegen, wie Andere darüber zu denken beginnen. Sprache färbt ab und schleift sich ein. Sie zu verändern, umzuformen, neu zu denken, ist eine Herausforderung. - In den letzten Wochen und Monaten hat sich ein rauer, ein derber Ton in die Mitte unserer Gesellschaft vorgearbeitet. Unverhohlen rassistische Parolen, hetzerische Pamphlete und krude Theorien kann man im Herbst 2015 in Deutschland überall hören. - Die verbalen Totalausfälle der Anhänger von Pegida, inklusive des schamlosen und widerwärtigen Auftritts des rechtspopulistischen Autors Akif Pirincci, sind nur die Spitze eines, in seinen Ausmaßen noch unabmessbaren, Eisberges. 

Uns Bloggern und Autoren, Journalisten und politischen Engagierten versagt angesichts solch ekelerregender Entgleisungen kurzzeitig die Sprache. Doch gerade jetzt dürfen wir nicht schweigen! Wir müssen laut bleiben und unsere Waffe, das Wort, schärfen. Hass und Rassismus, einem dunklen Deutschland, können wir nur begegnen, wenn wir unsere Wörter klug gebrauchen, unsere Sprache als Vermittlerin einsetzen und Menschen für ein freundliches, ein weltoffenes, ein helles Deutschland begeistern. Je tiefer sich rechtsextremistische Parolen und Fremdenfeindlichkeit in die Mitte unserer Gesellschaft vorarbeiten, desto stärker müssen wir dagegen halten. - Wir dürfen uns nicht übermannen lassen von der Angst. Wir dürfen nicht dunklen Kräften kampflos das Feld überlassen. 

Wir müssen eine gemeinsame Stimme bilden. Für die Demokratie. Für die Weltoffenheit dieses Landes. Es kann nicht sein, dass 70 Jahre nach Kriegsende Rassismus in Deutschland wieder allgegenwärtig ist. Es kann nicht sein, dass demokratisch gewählte Entscheidungsträger in der CSU sich dem Populismus anbiedern. Es kann nicht sein, dass wir vergessen unsere Stimmen zu erheben für die Wehrlosen in unserer Gesellschaft.

Das Wort ist eine mächtige Waffe. Gebraucht es klug. Verschafft Euch Gehör!

13 Oktober 2015

Rezension: "Hope is Just a State of Mind" von Little Comets. – Klänge gegen die Eintönigkeit.

Mit "Hope is Just a State of Mind" veröffentlichen die Little Comets aus Newcastle ihr drittes Studioalbum. Die Engländer schreiben Songs, deren Melodien leicht zugänglich und doch komplex sind. Einige anspruchsvollere Songs tun sich beim ersten Hören noch etwas schwer, machen aber spätestens nach dem zweiten Hören unglaublich viel Spaß. - Das Album erscheint in Deutschland am 30. Oktober 2015.


"Hope is Just a State of Mind" (The Smallest Label) bewegt sich zwischen Sehnsucht und dem glücklichen Hier und Jetzt. Und zwar in all den Abstufungen, die das Leben kennt. Schon "My Boy William" der erste Track des Albums changiert zwischen diesen Polen. Am Anfang steht Robert Coles sehr charakteristisch-hohe und wirklich gute Stimme, die den Song über seinen Sohn William (der im Übrigen wirklich sein Sohn ist) nur von einer Gitarre begleitet eröffnet. Im Laufe des Songs entlädt sich eine durch gedoppelte Stimmen charakterisierte Euphorie. Der Song gipfelt im Stillen in einer Unterhaltung zwischen Robert Coles Sohn William und George, dem Sohn eines der anderen Bandmitglieder. Robert Coles selbst hat es in einem Gespräch mit "The Cambridge Student" wie folgt erklärt: "In a quiet part of the song, you hear the conversation between William and George. There’s no real logic to it, I just love it" (Etwa: "In einem stillen Teil des Songs hört ihr eine Unterhaltung zwischen William und George. Sie ist nicht wirklich logisch - ich liebe es!"). 

Die Little Comets überzeugen seit ihrem Debütalbum "In Search of Elusive Little Comets" durch verspielte Melodien, euphorisierende Akkorde und durchdachtes Songwriting. Auch die Lyrics überzeugen. So heißt es zum Beispiel in "The Gift of Sound": "Touch brings you nearer/ Could this be any clearer?/ It’s the waveform you need the most./ Eyes like a vandal/ It’s the truth I can handle: Let the waveform take you home" - Passenderweise trägt sich diese Wellenform in auf- und absteigenden Tonleitern durch den gesamten Song. 

Mit "Hope is Just a State of Mind" haben Little Comets ein sehr überzeugendes Album hingelegt. Ein Ohrwurm vom Format von "One Night In October" ist zwar nicht darunter, aber den braucht es auch nicht. Man hört das Album gerne durch. Einige Songs wie "Little Italy" brauchen zwei Mal, um sich in ihrer Komplexität vollends zu entfalten, doch dann taucht man voll in die Klangwelt der Engländer ein. Es ist ein Album zum Schwelgen in Klängen, ein Album gegen die Eintönigkeit der C-Dur-Pop-Produktionen. Ein bisschen ist es, als wachte man nach einer guten Nacht auf und könnte sich an jede Einzelheit eines sehr schönen Traumes erinnern.


Wertung: 8,5 von 10.

15 September 2015

Rezension: "Anthems For Doomed Youth" von The Libertines. Nachdenklich und weniger roh.

Es ist das vielleicht unwahrscheinlichste und langersehnteste Comeback der letzten Jahre. The Libertines sind zurück. Die vierköpfige Londoner Indie-Gruppe um Pete Doherty und Carl Barât veröffentlichte am 11.September 2015 ihr drittes Album "Anthems For Doomed Youth" (Virgin EMI). Trotz einiger Schwächen ist es ein mehr als ordentliches Album geworden.


Elf Jahre nach ihrem bisher letzten, nach der Band benannten Album "The Libertines" (2004) kehren Pete Doherty (Gesang/Gitarre), Carl Barât (Gesang/Gitarre), John Hassall (Bass) und Gary Powell (Schlagzeug) mit ihrem dritten Album "Anthems For Doomed Youth" zurück. 
Nachdem Barât seinen besten Kumpel Doherty wegen anhaltender Drogenprobleme 2004 aus der Band warf und die Libertines auflöste, gründete Doherty kurzerhand die Babyshambles mit denen er drei von der Kritik gelobte Alben aufnahm. Sein Soloalbum "Grace/Wastelands" (2009) gab einen tiefen Einblick in die musikalische Seele des Poeten. Nach einigen Gefängnisaufenthalten und mehreren erfolglosen Entzugsversuchen, ging er Ende 2014 nach Thailand und wagte einen weiteren Versuch in einer Drogenentzugsklinik. Mit Erfolg.
Carl Barâts "Dirty Pretty Things", in denen Gary Powell als Schlagzeuger mitwirkte, veröffentlichten zwei Alben. Kam "Waterloo To Anywhere" noch gut an, wurde der Nachfolger schon deutlich weniger gewürdigt. Die beiden Soloalben von Barât sind der Erwähnung bedauerlicherweise nicht wert.

Und nun also wieder The Libertines. Als sie sich Ende der Neunziger gründeten und 2002 ihr überragendes Debüt "Up The Bracket" veröffentlichten, waren die vier Londoner Anfang Zwanzig und wurden als die britische Antwort auf The Strokes gefeiert. Sie galten als Retter des Garagenrocks und brachten neben ihrer rohen, unverstellten Musik großartige Texte in die Londoner Szene. Nun sind die Mitglieder der Libertines Mitte Dreißig. Noch immer leben ihre Songs von ehrlichen und sehr tiefgründigen Lyrics. "Anthems For Doomed Youth" verarbeitet vor allem die Geschichte der Band selbst (z.B. "Fame And Fortune" oder "Glasgow Coma Scale Blues") , sowie die tiefen Abgründe, in die Barât und Doherty selbst geblickt haben ("Iceman" oder "Belly Of The Beast").
Der größte Unterschied zu den beiden vorangegangenen Alben ist, dass die Libertines lange nicht mehr so roh klingen. Dafür ist mit Sicherheit vor allem der Produzent Jake Gosling, der sonst Ed Sheeran oder One Direction produziert, verantwortlich. Gerade Songs wie "Fury Of Chonburi" oder "Heart Of The Matter", die viele der alten Qualitäten der Libertines bergen, klingen zu glatt. Zwar sind die Gitarren noch immer leicht neben dem Ton, aber die Einsätze und der Gesamtsound klingen zu perfekt für einen Libertines-Song alter Qualität. 
Sternstunden des Albums sind die Balladen "Anthem For Doomed Youth", die Carl Barât mit Hingabe singt und das neu eingespielte "You're My Waterloo", das gerade durch das Piano-Intro und das Gitarrensolo sehr an "Don't Look Back In Anger" von Oasis erinnert. Auch "Iceman" ist eine wunderschöne Ballade, die vor allem durch ein furioses Ende überzeugt. Die Uptempo-Nummern "Glasgow Coma Scale Blues" und "Barbarians"gehen ins Ohr und zeigen, dass die Libertines sich in elf Jahren weiterentwickelt haben. Die Arrangements sind etwas komplexer, die Songs gehen ins Ohr und auch die Erlebnisse, welche die Libertines in den letzten Jahren geprägt haben, lassen sich auf dem Album hören. Die Songs sind weniger euphorisch und weniger leicht. Sie sind vielmehr nachdenklich, aber auch vorwärts gewandt. 

Alles in allem schaffen die Libertines mit "Anthems For Doomed Youth" ein solides bis gutes Comeback, welches ihr Ansehen kaum beschädigen wird, aber ein interessanter Ausgangspunkt für ein viertes, gereiftes Album sein könnte. Vielleicht schaffen sie dort, was Oasis in ihrer langen Karriere nie erfolgreich geschafft haben - sich neu zu erfinden und doch die Band zu bleiben, die sie einst waren.



Wertung: 7,0 von 10

31 März 2015

Der Mann, der die Worte liebte. – Ein Nachruf auf Helmut Dietl.

Helmut Dietl, einer der großen deutschen Regisseure, ist im Alter von 70 Jahren an den Folgen einer Lungenkrebserkrankung gestorben. Fernsehserien wie "Monaco Franze – Der ewige Stenz" oder "Kir Royal" machten ihn berühmt. 1992 wurde er für seinen ersten Kinofilm "Schtonk!" für den Auslandsoscar nominiert. Dietls Filme waren bitterböse Satiren auf den Medienbetrieb, amüsante Komödien über die Münchener Schickeria und immer auch Liebeserklärungen an geschliffene Dialoge.
  
Helmut Dietl war ein großer Perfektionist, wenn es um seine Fernsehserien oder Spielfilme ging. Sein eigenes Leben, seine eigenen Erfahrungen spielten dabei, so hat er es in Interviews dargestellt, die wichtigste Rolle, um eine Geschichte für das Fernsehen oder Kino erzählen zu können. Über was könne man sonst schreiben?, fragte er. – Dietls Geschichten, die er oft zusammen mit dem Patrick Süskind ("Das Parfum", "Der Kontrabass") schrieb, waren vielschichtig, mitreißend, komisch und immer von geschliffenen Dialogen geprägt. Sätze wie "Wer reinkommt, das bestimme immer noch ich!" von Baby Schimmerlos, dem an Michael Graeter angelehnten Klatschreporter, aus der 1986 gedrehten Serie "Kir Royal", haben sich tief in das kollektive Filmgedächtnis der Deutschen eingebrannt. 
Dietl machte München – so steht es in einigen Nachrufen (so z. B. in der "Abendzeitung") – zur heimlichen deutschen Hauptstadt vor der Wende. Er stellte die höhere Münchener Gesellschaftsschicht, die Schickeria, immer mit dem Blick eines Emporkömmlings dar. Nie war er ganz Teil dieser Gesellschaft. Vielleicht gerieten seine Fernsehserien (hier sind vor allem "Monaco Franze" (1982) und "Kir Royal" zu nennen) oder seine Spielfilme (in erster Linie "Rossini, oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief" von 1997) deshalb immer zu bitterbösen und irgendwie doch liebevollen Überzeichnungen des Szenelebens in und um München. 

Gerade "Kir Royal" habe ich, als ich die Serie das erste Mal sah, immer mit diesen gemischten Gefühlen zwischen bitterböser Satire und liebevoller Überzeichung betrachtet. Es musste ein tolles Gefühl sein "dazu zu gehören". Wozu auch immer man da gerade gehörte. Und gleichzeitig schien diese Oberschicht so weltfremd und abgenabelt von den echten Problemen der Menschen zu sein. Politische Überzeugungen wurden kaum ausgetauscht oder führten dazu, dass sich die Münchener High Society sprichwörtlich von einem abwendete (so geschehen bei Friederike von Unruh, der von Ruth Maria Kubitschek gespielten Verlegerin der fiktiven "Münchener Allgemeinen Tageszeitung" nachdem Baby Schimmerlos illegale Waffengeschäfte eines fiktiven Königreiches entarnt hatte). 
"Kir Royal" ist zweifelsohne Helmut Dietls Meisterstück. Noch heute gibt es keine vergleichbar gute, deutsche Fernsehserie. Das Staraufgebot um Franz Xaver Kroetz, Dieter Hildebrandt, Senta Berger und Billie Zöckler, um nur einige zu nennen, Gastauftritte von Mario Adorf oder Edgar Selge, sind legendär. Und die Dialoge sowie die variantenreiche und oftmals dialekt-geprägte Sprache sind ein Hochgenuss und bringen einen immer wieder zum Lachen.
Helmut Dietl ist am 30. März 2015 im Alter von 70 Jahren an den Folgen einer Lungenkrebserkrankung gestorben. Er war ein Mann, der die Worte liebte.

12 März 2015

Rezension: Sehnsucht, ein pochendes Herz und die richtigen Worte. – Wanda und Kraftklub live in Hamburg.

Am 11. März 2015 gastiert Kraftklub mit der "In Schwarz"-Tour in der Sporthalle in Hamburg. Die Vorband Wanda aus Österreich unterstützt sie an diesem Abend ein letztes Mal und zeigt, dass sie das Zeug zu großen Musikern haben. Diese Rezension stellt sie in den Mittelpunkt. - Der einzige Kritikpunkt des Abends ist übrigens einmal mehr der Sound in der Sporthalle. Für den können die Künstler nichts. Doch die Probleme sind bedauerlich, denn einmal mehr verhageln sie den ganz großen Musikgenuss. 

Wanda, eine junge Band aus Wien schafft es mühelos ein flirrendes Lebensgefühl einzufangen. Dieses Taumeln zwischen unbändiger Liebe, Liebesleid und leichtsinniger, oftmals so inspirierender und erfrischender Jugend erinnert in Teilen an Romane wie "On The Road" von Jack Kerouac. Wandas Texte sind witzig (an anderer Stelle wird hier immer wieder von dem so bekannten Wiener Schmäh geschrieben), geistreich und gleichzeitig einfach gehalten. Sie bieten jedem Zuhörer eine Identifikationsmöglichkeit. Schlichtweg geniale Versatzstücke wie der erste Satz des Eröffnungssongs "Luzia" an diesem Mittwochabend in der Sporthalle in Hamburg "Weil Du weiße Zähne hast/ obwohl Du ständig rauchst", werden auf "Amore", dem ersten Album von Wanda gerne wieder verwertet.
Selten schafft es eine Vorband dem Publikum noch vor dem Hauptact so einzuheizen. Marco Michael Wanda, der Frontmann, erweist sich als grandioser Entertainer mit einem unglaublichen Charisma und einem Selbstbewusstsein, welches jeden Zuschauer einfach mitreißen muss. 

Da es Wandas letztes Konzert als Vorband von Kraftklub ist, haben die fünf Musiker aus Österreich es mit allerlei Schabernack zu tun, den sie mit Humor erdulden und ihn sogar in die Bühnenperformance mit einbauen. - Als es auf einmal Federn von der Hallendecke regnet, legt sich Marco Michael Wanda während eines Solos von Gitarrist Manuel Christoph Poppe auf die Bühne und spielt Schneeengel. Als ein Astronaut die Bühne stürmt, küsst der Frontmann ihn aufs Visier. Nicht selten geht ein Raunen durchs Publikum: "Sind die süß!". 
Dass Wanda ihr Publikum im Griff haben, zeigt sich, als nach dem Ende eines Songs lautstark "Kraftklub, Kraftklub"-Rufe durch die Halle schallen. Marco Michael Wanda legt den Finger an die Lippen und flüstert: "Psst. Wir wollen sie nicht verschrecken." - Dann spielen sie ihren bisher bekanntesten Song "Bologna" und die Halle tobt. - Manchmal scheint es, als schallten anstatt Gitarren- oder Keyboardklängen (Christian Hummer) Sehnsüchte lautstark durch die Halle. Das Schlagzeug (Lukas Hasitschka) und der Bass (Ray Weber) klingen dann wie ein pochendes Herz und der raue und ehrliche Gesang des Frontmanns wie die richtigen Worte, die man im echten Leben nie fände.
Wanda ist eine Band, die gerade steil geht. Berichte in der SZ, im NDR oder im ZDF machen sie immer populärer. Umso sympathischer, dass sie jeden Abend auf die Bühne gehen, eine geniale Performance abliefern und es mit Bernd Begemanns Worten "Ein Sänger sollte singen!" halten. 

Trotz der einmal mehr schlechten Akustik in der Sporthalle Hamburg, war Wanda als Vorband des Kraftklub-Konzertes ein ehrliches und großartiges Erlebnis!

Nach einer längeren Umbaupause begann Kraftklub mit einem sehr langen und sehr intensiven Konzert, welches von einem (wenngleich gescheiterten) Anruf bei einem Fan, der keine Karten für das lange ausverkaufte Konzert bekommen hatte, über Konfettiregen und eine großartige Lichtshow sowie ein Medley vieler Songs des ersten Albums alles bereithielt, was ein Fan-Herz begehrt. 
Kraftklub ist inzwischen eine große Nummer in der deutschen Musikszene. Sie sind für drei Echos nominiert und einige ihrer Songs sind bereits Hymnen oder mit Sätzen wie "Ich will nicht nach Berlin!" in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. 
Dass Leadsänger Felix Brummer durch seine Gesten und das Tamburin, was er zwischenzeitlich schlug, ein bisschen wie Liam Gallagher wirkt, passt irgendwie gut ins unangepasste und gleichzeitig massentaugliche Image der Band. - Highlight des Konzerts war die wirklich episch vorgetragene Indie-Hymne "Meine Stadt ist zu laut".


09 Januar 2015

Laut bleiben! – Ein Plädoyer für die Freiheit der Presse.

Bei einem Anschlag auf das Redaktionsbüro der französische Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" sterben zwölf Menschen. Darunter ihr Herausgeber und drei bekannte Zeichner. Weltweit bekunden Menschen - vereint unter dem Spruch - "Je suis Charlie" ihren Respekt und ihre Trauer. Die Täter sind - nach aktuellen Medienberichten (Stand: 9. Januar 2015, 18:50 Uhr) - inzwischen getötet worden. Dieses Plädoyer fragt nicht nach Gründen für die Tat. Es verurteilt diesen Anschlag auf die Pressefreiheit und soll Journalisten Mut machen. Bleibt laut!

Frankreich. Europa. Die Welt. Journalisten, Regierungschefs und Bürger – alle sind sie vereint in ihrer Bestürzung über das Attentat auf die französische Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" vom 7. Januar 2015. 
 
Die Gründe für die Bestürzung der Einzelnen mag unterschiedliche Ausprägungen haben, aber eine solche Welle der Solidaritätsbekundungen hat Seltenheitswert. – Dieser Tage wird in den Kommentaren der Qualitätsmedien häufig die Frage nach einer möglichen Spaltung Europas in Nichtmuslime und Muslime diskutiert. Christian Bangel gibt auf ZEIT online die einzig richtige Antwort: "Der Pariser Anschlag trifft alle Europäer: Nichtmuslime und Muslime. Wir müssen uns gegen den Hass immunisieren, mit dem uns die Terroristen anstecken wollen". Mehr muss nicht gesagt werden. Wir müssen als Menschen gegen den Terror zusammenstehen und nicht einander – aufgespalten in unterschiedliche religiöse oder politische Lager – bekämpfen. 
Wie fragil die Pressefreiheit ist, wie wichtig sie uns als Erhalt der Demokratie sein muss, wird dieser Tage einmal mehr deutlich. Französische Journalisten starben, weil sie sich in Karikaturen über den Propheten Mohammed lustig gemacht haben. Dabei hatten sie sich nicht nur über ihn, sondern auch über andere Religionsstifter amüsiert. – Es ist das gute Recht der freien Presse bis an die "Schmerzgrenzen" (so der ZEIT-Journalist Bernd Ulrich) zu gehen – manchmal sogar darüber hinaus. 
Die Wahrheit ist nicht immer angenehm. Das politische oder gesellschaftliche Leben plätschert nicht einfach so dahin. Journalisten beobachten unsere Zeit, schreiben jeden Tag über die kleinen und großen Abenteuer, Verfehlungen und Ereignisse. Sie werden sich nicht mundtot machen lassen! Selbst ein solch brutaler Anschlag auf eine Zeitschrift wird sie nicht unterkriegen. Journalisten werden laut bleiben! Und das ist gut so. Wir erkennen erst, was wir an der freien Presse haben, wenn sie in Gefahr ist.
War in den letzten Tagen noch oft von der "Lügenpresse" die Rede, so betrauern wir nun allesamt einträchtig die ermordeten Journalistinnen und Journalisten von "Charlie Hebdo". – Wir sollten bedenken, dass Journalisten, gerade jene, die sich satirisch ihrer Sache annähern, Grenzen austesten und dabei auch Fehler machen. Dafür werden sie dieser Tage oft angegangen. Das Fehlermachen ist allerdings – auch in unserer ach so perfekten Welt von heute – menschlich. Der Soziologe Heinz Bude fordert die Rückkehr zu einer Fehlerkultur. Sie würde uns in vielen Bereichen gut tun.