Mit der Niederlage der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen England am 29. Juni in Wembley (0:2) endet die Ära Joachim Löws als Bundestrainer. Was bleibt von ihm? - Neben der Rekordzahl von 113 Debütanten in seiner Amtszeit (2006-2021), sind dies vor allem eine vielfältige Nationalmannschaft und der Respekt seiner Spieler für ihn. Und natürlich: Fünf Turnierteilnahmen als Cheftrainer, die die Mannschaft mindestens bis ins Halbfinale trugen, der WM-Titel 2014 und der Confed-Cup-Triumph 2017.
Die deutsche Nationalmannschaft
ist nach 2018 abermals früh bei einem großen Turnier ausgeschieden. Das Achtelfinale der nachgeholten Europameisterschaft (EURO 2020) ging mit 0:2 gegen England im prestigeträchtigen Wembley-Stadion verloren. Trainer
der Nationalmannschaft damals wie heute: Joachim Löw.
Schon seit dem Vorrunden-Aus der
Nationalmannschaft bei der WM in Russland gilt Löw seinen Kritikern als angezählt. In
bunten Variationen las man davon, dass er „die Mannschaft nicht mehr erreiche“,
die falschen Spieler daheim gelassen habe (2018 traf dies Leroy Sané – der bei
dieser EM medial übrigens heftig kritisiert wurde) oder zunächst zu spät den
Umbruch eingeleitet habe (im Anschluss kritisierte man die „Ausbootung“ von
Mats Hummels, Jérome Boateng und Thomas Müller und forderte, Löw müsse die Spieler zurückholen).
Es war klar, dass Löw nach der Europameisterschaft den Staffelstab weiterreichen würde. Sein Nachfolger ist sein ehemaliger Co-Trainer Hansi Flick, der beim FC Bayern in der Corona-Saison 2019/20 alle Titel eingesammelt hat, die es im Vereinsfußball zu gewinnen gibt. Doch bevor Flick übernimmt, wird Joachim Löws Amtszeit von 82 Millionen Bundestrainerinnen und -trainern beurteilt werden – ebenso wie von der Sportpresse des Landes. Schon heute Morgen (30.06.) schrieb die ZEIT davon, dass nun „bleierne Jahre“ enden würden – der „kicker“ vermisste ein „schlüssiges Konzept“ für die Einwechselspieler gegen England und zitierte ehemalige Nationalspieler wie Michael Ballack, die den Aufritt der Nationalelf kritisierten.
Können wir es uns wirklich so einfach machen?
Sicher: Joachim Löw hat in seiner Amtszeit Fehler gemacht. Wie jeder große Fußballtrainer. Man denke nur an den allseits verehrten Pep Guardiola, der sowohl mit dem FC Bayern als auch (bisher) mit Manchester City daran scheiterte, die Champions League zu gewinnen.
Vielleicht hätte Löw auf dem
Höhepunkt des Erfolges – also nach dem WM-Titel 2014 – seine Karriere als
Bundestrainer glanzvoll beenden können. Aber er war sich sicher, dass er den
deutschen Fußball noch einmal neu denken und prägen könnte – für ihn stand die
Mannschaft nicht am Ende eines langen Weges, sondern befand sich noch mitten
auf ihm. In einem notorisch unruhigen Deutschen Fußballverband waren Löw, seine
Co-Trainer und auch der viel kritisierte Oliver Bierhoff (Direktor Nationalmannschaften und
Akademie) Ruhepole, die der Nationalmannschaft einen Weg wiesen. Lange Zeit war
dieser geprägt von großen Erfolgen und denkwürdigen Spielen. Falls jemand einen
Beweis dafür sucht, dass Löw auch nach 2014 und der EM 2016 noch einen klaren
Plan hatte und eine Mannschaft anzuleiten wusste, schaue er noch
einmal den Confed-Cup aus dem Jahr 2017 an. Mit einem Kader, dem viele damalige Stammspieler fehlten und der die Besetzung der heutigen Nationalmannschaft auf einigen Positionen erstaunlich präzise vorzeichnet, gewann Löw das Turnier.
Löw hat eine Ära geprägt und den deutschen Fußball vorangebracht. Immerhin ist er einer von nur vier Weltmeistertrainern. Herberger (1954), Schön (1974), Beckenbauer (1990), Löw (2014) – das ist die Reihe.
Die einzelnen Stationen von Löws
Wirken nachzuzeichnen, übersteigt die Länge dieses Gedankenabrisses. Wer einen Eindruck von der Ära Löw gewinnen will, findet mit "Joachim Löw - Die Story: Aus dem Breisgau zum Bundes-Jogi" einen ersten Überblick in der ARD-Mediathek.
Von meiner Seite nur so
viel: Unter Löw (ab 2004 als Co-Trainer, ab 2006 dann als Cheftrainer) ist die
Nationalmannschaft viel mehr zu einem Abbild unserer bunten Nation geworden,
als sie es vorher noch gewesen war. Die Zeit des „Rumpelfußballs“, die noch unter Klinsmanns
und Löws Vorgängern dominiert hatte, ist endgültig überwunden - dass sie wiederkommen wird, ist nahezu ausgeschlossen. Und auch das
Talentförderungssystem und das Vertrauen in junge Spieler hat vor allem Löw
maßgeblich mitgeprägt. In seiner Ära haben 113 Spieler bei der
Nationalmannschaft debütiert. Der Letzte war Jamal Musiala vom FC Bayern
München, den Löw somit für den DFB „gesichert“ hat. Denn Musiala hätte auch für
die englische Nationalmannschaft spielen können. In 198 Spielen unter Löw errang die
Nationalmannschaft 124 Siege (40 Unentschieden, 34 Niederlagen). Das entspricht 2,09 Punkten pro Spiel. – Allein diese
Zahlen beeindrucken.
Neben dem Platz hat Löw es (fast) immer geschafft, seine Spieler von seinem Weg zu überzeugen – viele haben über die Jahre sehr beeindruckt von ihm gesprochen (auch hier ist Musiala als Letzter zu nennen, der sich – nach meiner Erinnerung – nach einem Gespräch mit Löw für den DFB entschieden hat). Und auch langjährige Nationalspieler wie Philipp Lahm, Per Mertesacker, Bastian Schweinsteiger oder Lukas Podolski sprechen bis heute voller Respekt von Löw.
Von der Fußballnation Deutschland wurde Löw nie geliebt – so stand es heute Morgen aller Orten zu lesen. Man habe ihn lange respektiert, doch das sei nach der WM 2018 auch ein wenig abgeebt. Wir machen es uns aber zu leicht, wenn wir Joachim Löw nur an den letzten beiden Turnieren messen und an ein paar schmerzhaften Niederlagen.
In den besten Momenten spielte Löws Nationalmannschaft begeisternden Hurra-Fußball, war getragen von ausgezeichneter Team-Chemie und einem entspannten und doch akribischen Trainer. In den schwächsten Momenten unter Löw hat die Nationalmannschaft zu wenig Dynamik nach vorne entwickelt und die zweifellos vorhandenen Spielideen nicht auf den Platz bringen können. Doch blickt man zurück auf Löws lange Jahre bei der Nationalmannschaft, überwiegen die positiven, die glanzvollen Momente. Nun davon zu sprechen, dass „bleierne Jahre“ enden würden, greift viel zu kurz. Es ist ungerecht und es verkennt die Leistungen, die Joachim Löw und sein Team in den letzten 15 Jahren vollbracht haben.