04 August 2018

"Meine Vorstöße sind anti-nostalgisch". – Robert Pfaller im Interview.

Robert Pfaller, Philosophie-Professor an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz, kritisiert in seinem aktuellen Buch "Erwachsenensprache" den Neoliberalismus von links. Ein Gespräch über Bürgerlichkeit, politische Korrektheit, den Gender-Diskurs und unsere nostalgische Gegenwart. 

Tobias Lentzler: Herr Professor Pfaller, Genuss spielt in Ihren Werken eine zentrale Rolle. Warum? – Was macht diesen Begriff so zentral für Ihr Denken?

Robert Pfaller: An der Genussfähigkeit - also daran, ob Menschen sich gelegentlich die Frage stellen, wofür es sich zu leben lohnt - entscheidet sich, ob sie bereit sind, politisch zu kämpfen oder nicht. So, wie Bertolt Brechts Pariser Kommunarden in ihrer Resolution sagen: "In Erwägung, dass ihr uns nun eben/ mit Gewehren und Kanonen droht/ so haben wir beschlossen, von nun an/ schlechtes Leben mehr zu fürchten als den Tod."  
Wenn die Leute hingegen selbst verlernt haben, zu geniessen oder zufrieden zu sein, fangen sie auch an, anderen deren vermeintliches Glück zu neiden. Die derzeitige, für die Postmoderne typische Diffamierung vieler Glücksformen (wie Trinken, Rauchen, fett Essen, Autofahren, Flirten, Sex etc.) führt also zur politischen Wehrlosigkeit und zur neidischen Entsolidarisierung in der Gesellschaft.

Tobias Lentzler: Ein weiterer wichtiger Aspekt Ihres Denkens ist – soweit ich das feststellen kann – Ihre Überzeugung, dass das Private und das Öffentliche strikt voneinander zu trennen seien. Was geht verloren, wenn diese Begrifflichkeiten an Trennschärfe verlieren?

Robert Pfaller: Wie Richard Sennett bereits 1977 richtig erkannte, wird in westlichen Gesellschaften seit einigen Jahrzehnten die Errungenschaft der öffentlichen Rolle (des "Public Man", jeglichen Geschlechts) zugunsten der privaten Person aufgelöst. Alle kommen nun mit ihren persönlichen Empfindlichkeiten und Marotten in die Öffentlichkeit und verlangen nach "Anerkennung". Dadurch aber geht das Entscheidende verloren, was uns zu politischen Bürgerinnen und Bürgern macht. Als solche handeln wir, wenn wir unsere persönlichen Agenden ein Stück weit im Hintergrund halten - was schon bei elementaren Verhaltensweisen des öffentlichen Raumes wie zum Beispiel der Höflichkeit beginnt: auf die Frage, wie es einem geht, antwortet man ja bezeichnenderweise eben nicht mit dem eigenen Blutbild. Nur wenn wir das fertigbringen - was unsere Eltern- oder Großelterngeneration übrigens noch sehr gut beherrschte -, sind wir fähig, das Allgemeine in uns zum Vorschein zu bringen. Und nur dann sind wir in der Lage, uns mit anderen, ungeachtet von deren kultureller, sexueller, ethnischer oder religiöser Identität, zu verständigen, unsere gemeinsamen Interessen zu erkennen und uns mit ihnen zum politischen Handeln zusammenzuschließen. Die postmoderne Propaganda der Empfindlichkeit und der sogenannten "Sensibilisierung" hingegen ist eine Waffe der Zerstückelung der Gesellschaft, der Ablenkung auf unbedeutende Kleinigkeiten und der politischen Lähmung.

Tobias Lentzler: Ihr jüngstes Buch „Erwachsenensprache“ fällt in eine Zeit, da in vielen Ländern Europas und in den USA Kunstwerke kritisch hinterfragt, abgehängt oder gar übermalt werden. Wie kann man sich diesem Umstand philosophisch nähern?

Robert Pfaller: Überspitzt würde ich sagen: daran zeigt sich, dass man kein Muslim zu sein braucht, um sich wie ein Taliban aufzuführen. Die postmoderne Identitätspolitik mit ihrer Propaganda der Empfindlichkeiten erweist sich hier als Ideologie des Neoliberalismus: sie bedient das neoliberale Interesse der Privatisierung des öffentlichen Raumes; und seiner Unterwerfung unter persönliche Ansprüche. 

Tobias Lentzler: Welche möglichen Probleme entstehen aus der Art wie oben beschriebene Gesellschaften sich derzeit mit Kunst und Kultur auseinandersetzen?

Robert Pfaller: Der (oder die) vermeintlich Empfindlichste soll heute zum Maßstab dessen werden, was in der Öffentlichkeit vorkommen darf. Das alte Prinzip bürgerlicher Öffentlichkeit (im Sinn von citoyenneté) hingegen besagte, dass man im öffentlichen Raum Dinge und Meinungen bis zu einem gewissen Grad dulden muss, auch wenn sie einem nicht zur Gänze passen. Der Widerstreit von entgegengesetzten Ansichten und Interessen gehört ja zur Demokratie. Einen Film, den man nicht mag, muss man sich nicht ansehen; und eine Bar, in der geraucht wird oder in der Musik gespielt wird, die einem zuwider ist, braucht man ja nicht zu besuchen. Dieses Prinzip der maßvollen Zumutbarkeit widriger Dinge im öffentlichen Raum würde ich auch als Erwachsenheit bezeichnen. Diejenigen hingegen, die im Namen ihrer Empfindlichkeiten heute ständig nach Polizei und Zensur rufen, führen sich auf wie Kleinkinder. Dass Erwachsenheit heute nicht mehr von jedem Erwachsenen mit Selbstverständlichkeit erwartet werden kann - genau das macht meines Erachtens das Neoliberale an der Erosion des öffentlichen Raumes aus.

Tobias Lentzler: „Erwachsenensprache“ geißelt mit markigen Worten den Neoliberalismus. Was lässt Sie vermuten, dass er die Triebfeder der heftig diskutierten Fragen nach politischer Korrektheit oder rücksichtsvollem Sprechen ist?

Robert Pfaller: Die von vielen scheinbar emanzipatorischen Akteuren vorangetriebene Infantilisierung erscheint mir als eine sehr nützliche Stütze des Neoliberalismus. Die Leute kümmern sich nur noch um Kleinkram und symbolische Kompensationen, während in der Gesellschaft, wie zum Beispiel an der Banken- und Finanzkrise 2008 deutlich wurde, eine massive Umverteilung des Reichtums zugunsten der Reichsten stattfindet, gegen die kaum jemand mehr etwas unternimmt. Die Philosophin Nancy Fraser hat die Empfindlichkeitspropaganda der political correctness des sensiblen Sprechens darum auch als "progressiven Neoliberalismus" bezeichnet.

Tobias Lentzler: Wie erklären Sie sich, dass die Forderungen nach Binnen-I, Gendersternchen o.ä. öffentlich derzeit so stark – und oft auch recht einseitig – rezipiert werden? Inwieweit lassen diese Fragen Ihrer Meinung nach eine differenzierte Auseinandersetzung zu?
 
Robert Pfaller: Wie der Philosoph Spinoza bemerkte: Was die Menschen aus Vernunft erkennen, das verteidigen sie auch mit Vernunft. Was sie hingegen aus Leidenschaft erkennen, das verteidigen sie auch mit Leidenschaft. Bezeichnend erscheint mir für unsere gegenwärtige Situation, dass Massnahmen mit umso größerer Heftigkeit verteidigt werden, je weniger sie den betroffenen Gruppen wirklich nützen. Von Binnen-Is oder Gendersternchen kann sich niemand etwas kaufen.
Seit etwa 1980 haben die Sozialdemokratien und Mitte-Links-Parteien in den westlichen Ländern kaum mehr etwas gegen die wachsende ökonomische Ungleichheit unternommen. Gegen die Vorstöße von Thatcher und Reagan waren sie noch ohnmächtiger als die Bevölkerungen, die ja immerhin das eine oder andere Mal versucht haben, wieder eine Alternative an die Macht zu wählen. Aufgrund ihrer Ohnmacht haben eben diese Mitte-Links-Parteien ihre Aufmerksamkeit auf die Kultur und den symbolischen Raum verlagert - daher zum Beispiel das Augenmerk auf die Sprache. Aber wenn man Probleme, die auf der Ebene der Ökonomie und der Sozialpolitik gelöst werden müssen, in die Kultur verlagert, dann löst man diese Probleme nicht nur nicht; man schafft sogar zusätzliche neue. Man macht dann im Namen vermeintlicher Emanzipation auch noch reaktionäre Kulturpolitik, zum Beispiel durch verschärfte Zensur.

Tobias Lentzler: Viel ist derzeit von „Filterblasen“ und dem Verlust einer zivilisierten Diskussionskultur die Rede. Wie könnten wir Letztere wieder fördern?

Robert Pfaller: Indem wir uns auf der Ebene der Ethik wieder zunehmend wie erwachsene, mündige politische Bürgerinnen und Bürger verhalten, die in der Lage sind, ihre gemeinsamen Interessen zu erkennen und sie handelnd wahrzunehmen. Und indem wir auf der Ebene der Politik beginnen, Probleme ungleicher Einkommen als ökonomische Probleme, und nicht als kulturelle oder sprachliche, zu behandeln.

Tobias Lentzler: In Ihrem Buch „Erwachsenensprache“ plädieren Sie für das Prinzip der Bürgerlichkeit, das persönliche Befindlichkeiten in der Öffentlichkeit zurückstellt. Welche Fähigkeiten müssen gestärkt werden, damit Bürgerlichkeit wieder in den Fokus unseres öffentlichen Handelns rücken kann?

Robert Pfaller: Man muss die Leute, anstatt sie in ihren vermeintlichen Identitäten und den dazugehörigen Empfindlichkeiten zu bestärken, wieder daran erinnern, dass sie als Erwachsene durchaus in der Lage sind, einiges auszuhalten - ja sogar es als Bereicherung zu nutzen. Von manchem, was mir gegen den Strich geht, kann ich bei näherer Betrachtung schließlich auch etwas lernen.

Tobias Lentzler: An vielen Stellen in „Erwachsenensprache“ plädieren Sie für eine offene Gesellschaft, die „ohne Inklusion von identitären oder gemeinschaftlichen Gruppen“ politische und kulturelle Teilhabe ermöglicht. Skizzieren Sie bitte: Welche Schritte müssen wir unternehmen, um diesen Gesellschaftstypus zu erreichen?

Robert Pfaller: Gerade den heute um das Sprechen so sehr Besorgten scheint eines nicht aufzufallen: eine inklusive Gesellschaft ist, genauso wie eine exklusive, eine geschlossene Gesellschaft. Es geht doch nicht darum, alle einzuschließen, sondern darum, einen offenen Raum herzustellen, zu dem alle, ungeachtet ihrer Herkünfte oder Besonderheiten, Zugang haben. Dazu müssen sie auch nicht dauernd drinnen sein - wie das der irreführende Begriff der "Partizipation" unterstellt hat. Gerade am aktuellen Kapitalismus kann man lernen, dass oft diejenigen, die nicht aktiv mitmachen, von manchen Prozessen am meisten haben. Wenn man an dem Wort "Teilhabe" festhalten will, dann sollte man es darum nicht mit "Partizipation" übersetzen, sondern vielleicht eher mit "shareholding".

Tobias Lentzler: Herr Prof. Pfaller, viele Ihrer Vorschläge erscheinen lohnenswert, allein sie wirken auch weit entfernt davon derzeit gesellschaftlich zu verfangen. Würden Sie sich als Nostalgiker bezeichnen? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? 

Robert Pfaller: Ich glaube, die Gegenwartskultur ist zutiefst nostalgisch. Das kann man zum Beispiel am Retro-Design sehen, mit dem die Industrie den sehnsüchtigen Wunsch der Leute nach bestimmten, jüngeren Vergangenheiten bedient: etwa mit dem Mini oder dem Fiat Cinquecento. Nun kann man sich fragen, wonach sehnen sich die Leute zurück? - Und eines wird dabei sofort klar: sie sehnen sich nach einer Vergangenheit, die ihrerseits keine Sehnsucht nach Vergangenheit hatte. In den 60er und 70er Jahren gab es kein Retrodesign. Und zwar deshalb, weil die Leute damals begründete Hoffnung hatten, dass es ihnen in der Zukunft besser gehen würde. Wir sehnen uns heute also zurück in eine Vergangenheit, die anders als wir, noch Hoffnung auf Zukunft hatte. Da ich versuche, mit meinen bescheidenen philosophischen Mitteln eine Ethik und eine Politik zu befördern, die den Menschen wieder Aussicht auf eine bessere Zukunft verschafft (so, wie es derzeit, in nicht unbedeutendem Maß die Bewegungen rund um Bernie Sanders und Jeremy Corbyn tun), würde ich meinen, dass meine Vorstöße anti-nostalgisch sind.

Tobias Lentzler: Ijoma Mangold hat in der „Zeit“ 2016 vom „Verlust der Mitte“ gesprochen. Von links käme „Hypermoral“, von rechts „blanke Gewalt“. Begreifen Sie Ihre Arbeit als ein Plädoyer für eine neue Form von Bürgerlichkeit aus der Mitte der Gesellschaft? Wenn ja, warum? Wenn nein, wofür plädieren Ihre Arbeiten dann?


Robert Pfaller: Sie dürfen nicht übersehen, dass ich die aktuelle Pseudolinke von links kritisiere. Gegen eine kulturelle Symbolpolitik, die letztlich den Neoliberalismus stützt, fordere ich eine ökonomische Politik, die ihn bekämpft. Ein Einsatz und Terrain dieses Kampfes ist aber tatsächlich die Frage, ob wir in Zukunft noch so etwas wie eine bürgerliche Öffentlichkeit haben werden, oder ob es den echauffierten "Kulturtaliban" westlicher Prägung gelingt, diese zur Gänze zu zerstören und ein Regime des "betreuten Denkens" einzurichten, wie die Philosophin Maria-Sibylla Lotter dies treffend genannt hat.  Das Wort "bürgerlich" bezeichnet hier den citoyen - eine Anrede, mit der auch Karl Marx seine Freunde und Genossen bedachte -, und nicht den bourgeois. Darum sehe ich meine linke Position in einer Allianz mit jenen bürgerlichen, liberalen Kräften, die ebenfalls den öffentlichen Raum von der Übernahme durch gutmeinende Privatinteressen schützen wollen. Bertolt Brechts Satz "der Kommunismus ist das Mittlere" scheint mir hierin eine mögliche Anwendung zu finden.

Tobias Lentzler: Wie gehen Sie nach dem Erfolg Ihrer Bücher mit möglicher Kritik von weit links bzw. Lob von weit rechts um? – Wie nah sind sich diese Extrem-Positionen argumentativ?

Robert Pfaller: Lob von rechts bekomme ich kaum jemals; und Kritik kommt nie von weit links, sondern meist von einer bourgeoisen, pseudolinken Mitte. Das ist nicht überraschend. Aus meiner Sicht sind die Kulturlinke und die extreme Rechte derzeit Komplizen. Denn alles, was wirklich von links kommt, kann die Kulturlinke bequem als rechts diffamieren. Und die Rechte profitiert davon, dass der Großteil der unteren Mittelschichten sich von der pseudolinken Kulturpolitik übergangen fühlt. Weil Empfindlichkeitspolitiken, Sprachorthodoxie, Museumszensur und ähnliche Maßnahmen immer nur Distinktionskapital für die Eliten erzeugen, wählen die durch diese Distinktion Deklassierten eben derzeit zornig rechts. Das könnte sich bald aber auch wieder ändern.

Tobias Lentzler: Wie sollten Ihrer Meinung nach Universitäten heute aussehen, damit Sie zum Denken anregen und öffentliche Debatten befruchten?

Robert Pfaller: Offen und gegen alle repressiven Empfindlichkeiten am Ideal der Erwachsenheit orientiert - so, wie das der Dekan der University of Chicago, John Ellison, einmal mit bewundernswerter Klarheit festgehalten hat: wir geben keine "trigger warnings" aus; wir laden eingeladene Vortragende nicht deshalb wieder aus, weil sie unbequeme Ansichten vertreten, und wir kreieren keine "safe spaces". Dieses Ideal muss auch für die Gesellschaft als ganze gelten: eine emanzipierte Gesellschaft zeichnet sich nicht dadurch aus, dass alle Identitäten "sichtbar", und alle Empfindlichkeiten durch Zensur berücksichtigt sind. Die völlige Sichtbarkeit aller Gruppen hatten wir doch schon einmal - die haben die Nazis perfekt vorexerziert. Und was die, die es gut meinen, durch Zensur und Zerstörung anrichten, kann man zum Beispiel daran sehen, was die islamistischen Fanatiker des Daesh vor kurzem mit Timbouktou, dieser wunderbaren Stätte islamischer Gelehrsamkeit, gemacht haben. Eine egalitäre Gesellschaft hingegen zeichnet sich dadurch aus, dass alle unbesehen ihrer Identität - entsprechend dem Ideal der "blinden Justitia" - Zugang zum öffentlichen Raum haben.

Tobias Lentzler: Zuletzt: Sie sind Professor an der Kunstuniversität in Linz. Welchen Eindruck macht der (akademische) Nachwuchs auf Sie? Wie blicken Sie auf Basis Ihrer Beobachtungen in die Zukunft? 

Robert Pfaller: Linz ist eine Arbeiterstadt. Der österreichische Bürgerkrieg hat am 11. Februar 1934 durch den Widerstand unbeugsamer Schutzbündler gegen die katholisch-faschistische Dollfuß-Diktatur hier seinen Ausgang genommen. Diese Tradition ist auch heute noch spürbar. Auch wenn freilich ein großer Teil der Studierenden nicht aus Linz kommt, scheint mir unter ihnen doch eine bestimmte politisierte Vernunft als Grundstimmung zu herrschen, die sie deutlich unempfänglicher macht für modische pseudolinke Strömungen, wie sie die bürgerlicheren Studierenden anderer Kunstuniversitäten, wie das Kunstfeld überhaupt, prägen. Aus dieser mainstream-kritischen Haltung gehen immer wieder grandiose Arbeiten hervor, wie zuletzt zum Beispiel die aufblasbare Karl-Marx-Monumentalskulptur von Hannes Langeder. Die intellektuellen und politischen Ressourcen sind also je nach Standort unterschiedlich. Ein großer Teil dessen allerdings, was die Universitäten in Europa zu Brutstätten eines kritischen Intellektualismus machen konnte, scheint mir heute massiv gefährdet durch die Reformen seit den 1990er-Jahren - also die sogenannte Bologna-Reform sowie die damit zusammenhängende Privatisierung der Universitäten (in Österreich "Vollrechtsfähigkeit" genannt) und die entsprechende Ökonomisierung der Bildung. Universitäten sind dadurch weitgehend zu stumpfen Ausbildungs- und Lernanstalten verkommen. Man kann den Studierenden kaum einen Vorwurf machen, wenn sie sich entsprechend verhalten. In kleinen Nischen aber kann man, wenn man Glück hat, sowohl als Student wie als Lehrender, noch vernünftig arbeiten. Von solchen Nischen kann dann auch mitunter ein kräftiger politischer Impuls ausgehen - wie zuletzt bei dem in seinem Umfang wie in seiner Qualität äußerst beachtlichen Streik im Jahr 2009, der, von einer Wiener Kunstakademie ausgehend, sich quer durch Europa zog und an dem sich Millionen von Studierenden wie Lehrenden beteiligten. Es verhält sich hier wie überall in der Gesellschaft: alle Tiger, die man vorübergehend ablenkt oder sediert, könnten eines Tages zorniger erwachen.