14 November 2016

"Money Makes the World Go Round" – Der Volkswirt Thomas Mayer im Interview.

Thomas Mayer war bis 2012 Chefökonom der Deutschen Bank bevor er zwei Jahre später sein Buch "Die neue Ordnung des Geldes" veröffentlichte, welches die Frage nach einem alternativen Verständnis unseres Geld- und Währungssystem stellt. Im Interview mit kulturlog spricht er über die Krise der Deutschen Bank, seine Vision von der Zukunft des Geldes, die Geschwindigkeit im Bankwesen und seine Arbeit als Professor an der Universität Witten/Herdecke. Das Interview fand im November 2016 per E-Mail statt. 

Herr Prof. Dr. Mayer, die Deutsche Bank – jenes Unternehmen für das Sie bis 2012 als Chefvolkswirt tätig waren – befindet sich derzeit in einer schweren Krise. Stellen Sie sich vor Sie müssten einem Menschen auf der Straße davon berichten: Worin liegen die Ursachen der Krise und welche Chancen könnten sich aus ihr ergeben?

Das Problem ist, dass der sprichwörtliche Mensch auf der Straße mit einer genauen Analyse der Lage überfordert ist. Deshalb macht er lieber „die Gier der Banker“ für alle Probleme verantwortlich. Das versteht jeder. Aber es wäre zu schön, wenn es so einfach wäre. Dann könnte man die gierigen Banker ja einfach durch nette Banker ersetzen und alles wäre gut. Die wirklichen Probleme der Deutschen Bank kommen von dem notwendigen, aber verpatzten Einstieg ins Investmentbanking. Warum war er notwendig? Weil die deutsche Industrie, die Kernkundschaft der Deutschen Bank, eine Bank für ihre Kapitalmarktgeschäfte brauchte. Warum wurde er verpatzt? Weil dem Management der deutschen Bank die Eingliederung der zugekauften Investmentbanken und –banker misslang und es über diese die Kontrolle verlor.


Zunächst eine allgemeine Frage: Was macht das Bankwesen für unsere Wirtschaft so wichtig?

„Money makes the world go round“. Diesen Song aus dem Musical Cabaret kennt jeder. Und die Banken drehen nicht nur das große Geldrad, sie produzieren auch unser Giralgeld, die wichtigste Geldform. Eine wichtigere Funktion für die Wirtschaft kann es kaum geben.


Was ist Ihre Vision von der Zukunft des Geldes und der Banken?

Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es keine gute Idee ist, das Geld von den Banken produzieren zu lassen. Das sollte allein Zentralbanken vorbehalten sein, wobei ich mir auch private Zentralbanken und Wettbewerb zwischen diesen und den öffentlichen vorstellen kann. Die Geschäftsbanken sollten sich um die Abwicklung des Zahlungsverkehrs und die Herstellung der Verbindung zwischen Sparern und Investoren zu deren gegenseitigem Nutzen kümmern. So steht es zwar in jedem Lehrbuch, aber die Wirklichkeit sieht anders aus.


Viele Menschen misstrauen Banken und zum Teil auch Bankern. Wie kann man in Zeiten ohnehin erodierenden Vertrauens eben dies zurückgewinnen?

Durch Offenheit und Ehrlichkeit. Die Leute müssen verstehen, wie unser Geldsystem funktioniert, was die Banken machen und wie sie ihr Geld verdienen. Die meisten „Experten“ scheuen aber vor einer Erklärung zurück, zum einen weil sie das System so kompliziert gemacht haben, dass sie es selbst kaum mehr verstehen, zum anderen, weil sie ihr Wissen als „Herrschaftswissen“ betrachten, das sie nicht weitergeben wollen, weil sie fürchten, dadurch eigene Vorteile zu verlieren.


Wie wichtig ist Geschwindigkeit im Bankwesen bzw. der Wirtschaftswelt und welche (positiven) Auswirkungen hätte „Entschleunigung“?

Abgesehen von dem gesamtwirtschaftlich nutzlosen oder sogar schädlichen High-Frequency-Trading leidet das Bankwesen nicht an überhöhter Geschwindigkeit. Im Gegenteil, manchmal wundert es einen, wie lange eine Überweisung immer noch dauern kann und wieviel sie dann kostet. Künftig wird der Zahlungsverkehr schneller und billiger abgewickelt werden, wenn Eigentumsübertragungen mit Hilfe der Blockchain-Technologie erfasst werden.


Der Euro könnte vor einer neuen Zerreißprobe stehen. Was genau geschieht derzeit in Italien und wie verhindert man dort eine folgenschwere Bankenkrise?

Seit rund einer Dekade stagniert die italienische Wirtschaft, weil es das Land nicht geschafft hat, sich an den Euro anzupassen. Die wirtschaftliche Stagnation hat viele Kredite schlecht werden lassen und die Banken geschwächt. Gegenwärtig wird das Land nur noch mit Finanzhilfe der EZB in der EWU gehalten. Ohne den Ankauf italienischer Staatsanleihen durch die EZB hätten wir schon längst eine neue italienische Schuldenkrise. Da ich keine Hoffnung habe, dass das Land mit einer festen Währung in der Tradition der D-Mark leben kann, muss eben der Euro die Eigenschaften der Lira annehmen. Die EZB tut dafür ihr Möglichstes: Sie hätte gerne eine höhere Inflation und eine schwächere Währung und sie hilft den finanzschwachen Staaten bei der Finanzierung. Wollen wir den Euro behalten, müssen wir uns damit abfinden, dass er mehr der Lira ähnelt als der D-Mark, die wir aufgeben haben, um den Euro zu bekommen.


Allgemeinhin wird angenommen, dass Banken-, Schulden-, und Währungskrisen nicht unabhängig-, sondern sich wechselseitig verstärkend auftreten. Wie kann man diesen Teufelskreis am Besten durchbrechen?

Meiner Meinung nach ist die Konstruktion unseres Geldsystems ein wichtiger Grund für die wiederkehrenden Finanzkrisen. Wie gesagt wird dort Giralgeld über Kreditvergabe erzeugt. Um mehr Geld zu schaffen, müssen mehr Schulden gemacht werden. Die Zentralbanken steuern den Prozess der Gelschöpfung durch Kreditvergabe über ihre Zinsen für Kredite an die Banken. Da diese Zinsen zur Ankurbelung der Wirtschaft oft zu niedrig angesetzt werden, kommt es immer wieder zu Überschuldung und daran anschließend Schuldenkrisen.


Sie sind Honorarprofessor an der Universität Witten/Herdecke. Wie sollte man Studierenden heute in Wirtschaftswissenschaften unterrichten? Was geben Sie Ihnen mit auf den Weg?

Das Wichtigste ist, keinem zu trauen, nur weil er sich Professor nennt. Die Studenten müssen kritisch hinterfragen, was ihnen gelehrt wird, und ob das, was sie lernen hilft, die Wirklichkeit besser zu verstehen. Eine Lehre, die an der Wirklichkeit vorbei geht, taugt nichts, auch wenn ihre Vertreter mit Nobelpreisen geadelt wurden.

Was lernen Sie von Ihren Studenten? Welche Inspirationen nehmen Sie für Ihre Tätigkeit als Gründungsdirektor des Research Institutes von Flossbach von Storch mit?

Ich mag die Herausforderung, die Dinge so zu erklären, dass meine Studenten sie verstehen. Wenn ich das nicht schaffe, ist das ein Zeichen, dass ich die Dinge selbst nicht verstanden habe.


Abschließend: Die Arbeit als Banker und Gründungsdirektor der Denkfabrik der Vermögensverwaltung Flossbach von Storch bringt es mit sich, dass Sie von teils hohen Geldsummen umgeben sind. Welche Bedeutung hat Geld für Sie persönlich?

Ich bin gebürtiger Schwabe und die haben ja bekanntlich einen genetisch bedingten Hang zum Geld. Abgesehen davon halte ich es mit der Weisheit meiner Mutter, die mir als Kind mal gesagt hat: Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt.