Auch wenn die Bayreuther-Festspiele am 28.08. mit der Aufführung des "Tannhäuser" zu Ende gingen, lohnt es sich noch einmal einen Blick auf die Wagner-Stadt und die letzten Tage zu werfen. Ein paar Blicke auf eine Stadt am Ende des Ausnahmezustands.
Universitäts- und Festspielstadt, so steht es unter dem Bahnhofsschild von Bayreuth. Jeder, der dort mit dem Regionalzug aus Nürnberg oder entlegenen Orten entlang der Pegnitz einfährt, sieht diese Schilder. Prinzipiell sind sie eine überflüssige Information, denn wer in der knapp 71.500 Einwohner großen Stadt ankommt, ist entweder Student oder Festspiel-Besucher. Letztere bevölkern die Stadt zwischen Ende Juli und Ende August, ständig zwischen einem der vielen überteuerten Hotelzimmer und dem Grünen Hügel pendelnd und gehören zu einer Spezies, die sich "Wagnerianer" nennt. Sie alle pilgern, der jahrelangen Wartezeiten und der sündhaft teuren Karten zum Trotz jährlich zum Festspielhaus in Bayreuth und lauschen dort der Musik eines Mannes: Richard Wagner. Wagner gilt, wie allgemein bekannt ist, als einer der großen deutschen Komponisten der ausgehenden Romantik. Als Musikerneuerer gar. Seine Gesinnung gilt als umstritten, die Nazis vereinnahmten die Bayreuther Festspiele und seine imposante Musik für ihre Zwecke. Viele, die sich mit klassischer Musik auszukennen glauben behaupten, man könne Wagner entweder hassen oder lieben. Jedenfalls provoziert kaum ein Komponist eine solche Lagerbildung wie der 1813 in Leipzig geborene Komponist. Seine Werke, vor allem die Tetralogie "Der Ring des Nibelungen" sind oftmals von Heldenmut und Stärke, germanischen Gottheiten und Deutschtum geprägt.
Die Libretti, die Wagner selbst schrieb und mit einer Vielzahl an Regieanweisungen versah, zeugen von einem die Sprachmacht liebenden, oftmals über-pathetisch dichtenden Autoren. Seine Musik ist kraftvoll und scheppert einem in manchen Opern geradezu um die Ohren. Viele Posaunen, Waldhörner, Trompeten und Schlaginstrumente untermauern Wagners Dichtungen. Rohe Kraft und Gezähmtheit, Tempo und Entschleunigung sowie Sanftmut und Gewalt wechseln in Wagners Musik beständig. - Vielleicht macht dieses Aufzeigen von Differenzen, die deutliche Provokation durch Überhöhung, Pathos und Heldensagen Wagner zu einem solch unterschiedlich wahrgenommenen Komponisten.
Wer Wagner nicht liebt kommt nach Bayreuth, um sich zu zeigen, schauzulaufen, die Prominenz bei ihrem alljährlichen Stelldichein zu beobachten. Oder er kommt, um die vielen namhaften Regisseure von Wagners Enkel Wieland bishin zu Christoph Schlingensief und Frank Castorf niederzubuhen oder ob ihrer Inszenierungen und Deutungen von Wagners Stoffen in Jubelstürme zu verfallen. - Bayreuth hat - wie die Salzburger Festspiele oder andere klassische Musik-Veranstaltungen, aber auch wie das Hurricane-Festival, das Dockville, Glastonbury oder Leeds and Reading - seine eigenen Gesetze. Diesen Gesetzen hat sich nicht bloß jeder Festspiel-Besucher sondern auch die oberfränkische Stadt unterzuordnen. - Die Straßen Bayreuths wirken während der Festspiele blankpoliert und unwirklich reinlich. Die Ladenbesitzer legen ihr bestes Hochdeutsch an den Tag, damit es bei den Festspiel-Gästen nicht zu Kommunikationsstörungen kommt.
Auch Restaurants erhöhen ihre Preise, schaffen mehr Stühle herbei und locken mit Freigetränken oder anderen "Specials", die sie von den vielen anderen Gastwirtschaften unterscheiden. Überhaupt hat man das Gefühl, dass während der Festspiele überhaupt bloß drei Berufe in und um Bayreuth existieren. Hotelangestellte, Kellner und Taxifahrer. Letztere können sich an den Festspielbesuchern eine goldene Nase verdienen, sind sie bloß zuvorkommend und höflich genug. Alles in Allem wirkt Bayreuth während der Festspiele wie eine eingeschworene Gemeinschaft, welche die Wünsche der Festspiel-Besucher exakt kennt und so zuvorkommend wie es bei einer jährlichen Routine eben geht, agieren. Der große Pomp und Zirkus, das Sehen und Gesehen werden, findet auf dem grünen Hügel und unter den Wagnerianern statt.
Viele Bayreuther selbst sind wohl stolz auf ihre Attraktion, doch eine Karte für die Festspiele hatten bisher die wenigsten. Das zumindest ist der flüchtige Eindruck, der entsteht, wenn man nach Bayreuth pilgert.
Der "Tannhäuser" im Übrigen, war eine interessante Melange aus Gedanken von und über Wagner, Schiller, Nietzsche, Rammstein und Žižek. Der Dramaturg Carl Hegemann und der Regisseur Sebastian Baumgarten versuchten den Sängerstreit auf der Wartburg und die Liebesirrungen um Elisabeth und Venus, in welchen sich der Tannhäuser verfängt, als Unterscheidung zwischen Mensch und Maschine, Kunst und Werk sowie Lust und platonischer Liebe zu inszenieren.
Ein wenig, so hat man das Gefühl, versuchen Baumgarten und Hegemann zu zeigen wofür man Wagner und Bayreuth lieben oder Hassen kann: Die Differenzen, die bei einer Konfrontation mit einem der beiden Elemente zwangsläufig auftreten. Phasenweise gelingt ihnen das brillant, in vielen Passagen jedoch verheddert man sich in zu vielen Reminiszenzen an andere Denker und bleibt seinem Konzept nicht treu. Die wenigen Buh-Rufe bei der letzten Aufführung galten allerdings eher dem eigenen Gewissen der Buh-Rufer, denn der Inszenierung oder den Gesangsleistungen der Darsteller. Am Ende gab es viel artigen, teils sogar frenetischen Applaus.