Giuseppe
Verdis „La Traviata“ wird in einer Neuinszenierung von Johannes Erath an der
Hamburgischen Staatsoper aufgeführt. Eine Rezension der B-Premiere erschien am 20. Februar 2013 zunächst auf livekritik.de und nun auf "kulturlog".
Dass Giuseppe Verdis
1853 uraufgeführte Oper La Traviata erst nach einer
Überarbeitung des Libretto und der Partitur eine der erfolgreichsten Opern der
Welt wurde, ist nicht das schlechteste Zeichen für die Neuinszenierung dieses
Werkes an der Hamburgischen Staatsoper. - Der umtriebige
Regisseur Johannes Erath und der aufstrebende und hochtalentierte
Gastdirigent Patrick Lange machen sich mit ihrer Version der La
Traviata daran, die nicht mehr zeitgemäße und mit zu viel Rouge und
Plüsch inszenierte hamburgische Interpretation, zu entstauben. Ein Scheitern
nehmen sie dabei wie selbstverständlich in Kauf. In den Feuilletons las man in den letzten Tagen teils miserable, teils wohlwollende bis gute Kritiken über die
Neuinszenierung. Vorweg sei gesagt: Erath und Lange scheitern nicht an
ihrem Vorhaben Verdis Werk zu modernisieren!
Der Regisseur Erath
verlegt die Handlung aus dem Paris der 1850er Jahre gemeinsam mit seiner
kongenialen Bühnenbildnerin Annette Kurz auf einen Rummelplatz mit
vielen Autoskootern, die während des Stückes munter blitzen und blinken und von
den Darstellern beliebig oft hin- und hergeschoben werden. Der Rummelplatz ist
eine Art Symbol für die Veränderungen, welche die Hauptfigur Violetta Valéry
(hinreißend und herausragend gespielt von Ailyn Pérez) - einst eine
angesehene Kurtisane - durchlebt. Schwer krank ist sie und wird dann auch noch
ganz ernsthaft von einem Manne namens Alfredo Germont (Stefan Pop) umworben. So
vieles bewegt sich in ihrem Leben, lässt sie zweifeln und hoffen, lieben und
leiden, schlussendlich sterben. Die Geschichte der Oper ist ja hinlänglich
bekannt. Interessant ist, dass Johannes Erath keinesfalls den Versuch
unternimmt eine andere Figur als Violetta oder Alfredo in den Vordergrund zu
rücken beziehungsweise eine andere Figur umzudeuten. Nach wie vor bemitleiden
wir Violetta um ihr Schicksal, bewundern und bedauern Alfredo und verachten
zunächst und lieben zum Ende hin Alfredos Vater Girogio (brillant: George
Petean). Erath versucht vielmehr Violettas Krankheit für ihr unstetes Leben,
ihre Zweifel und ihre innige Liebe verantwortlich zu machen. Wie in einer Geisterbahn
ziehen an ihr immer wieder weiße Schreckgestalten vorbei, die sich entweder als
ihr nahestehende Personen oder völlig Fremde deuten lassen. Diese lassen sie
wanken, aber bis zur fabelhaften Schlussszene nicht fallen. - Zwar hat Erath
der Oper das eigentliche Vorspiel (Alfredo tritt an das Grab der Toten und hält
sie in den Armen) aus A. Dumas Roman Die Kameliendame von
1848 auf der Verdis Stück aufbaut, beigefügt, aber bemerkt der Zuschauer diese
feine Dramaturgie erst zum Schluss. Der Tod und die Vergänglichkeit, beinahe
wie auf einem Vanitas-Stillleben, sind in dieser Inszenierung allgegenwärtig
und dennoch bis zum Schluss nicht greifbar.
An der Rückwand der Bühne ist ein Tor angebracht,
welches sich mehrfach öffnet und schließt und die Hamburger Choristen entweder
freigibt oder verschluckt. Auch wird der zweite Akt von braunen, durch die Luft
wehenden, also vergangenen, Blättern eingeleitet. Bis in die letzte Szene
überzeugt das Bühnenbild. - Auch die Leistung der Musiker der Staatsoper
Hamburg, brillant durch den Abend geführt vom unaufdringlichen, aber ständig
präsenten, Patrick Lange, lässt keine große Kritik zu. Bloß stellenweise wirken die
Symphoniker etwas gedämpft, in anderen Passagen etwas zu schnell. - Es gehört viel Mut dazu einen Klassiker
vielschichtig und neu zu inszenieren. Doch es gehört noch viel mehr Talent und
Können dazu daran nicht zu scheitern, sondern die Staatsoper um eine ihrer
wichtigeren und im nationalen Vergleich starken Inszenierungen zu bereichern.
La Traviata als ein bewegtes Vanitas-Stillleben und gleichzeitig
vergänglichen Rummelplatz zu deuten, ist eine gelungene und kluge Abwechslung
in der langen Inszenierungsgeschichte dieses Opernklassikers mit
Ohrwurmcharakter. Die Sänger bekamen vom Publikum viel verdienten und wohlwollenden Applaus. Trotz teils schwacher Arien jubelten die Zuschauer auch Stefan Pop zu, der - zugegebenermaßen - an den entscheidenden Stellen hellwach war und vor allem im Duett als zurückgenommener Gegenpart überzeugen konnte. Hervorzuheben ist nicht nur die fabelhafte Gesangsleistung von Ailyn Pérez, die auch schwierige Passagen der komplexen Verdi-Partitur mühelos sang. Auch ihr Spiel wirkte sehr überzeugend. Vor allem ihre Schwindsucht mimte sie gekonnt.