21 Februar 2013

Rezension: Liebe, Tod und Vergänglichkeit. – "La Traviata" in Hamburg.

Giuseppe Verdis „La Traviata“ wird in einer Neuinszenierung von Johannes Erath an der Hamburgischen Staatsoper aufgeführt. Eine Rezension der B-Premiere erschien am 20. Februar 2013 zunächst auf livekritik.de und nun auf "kulturlog".

  

Dass Giuseppe Verdis 1853 uraufgeführte Oper La Traviata erst nach einer Überarbeitung des Libretto und der Partitur eine der erfolgreichsten Opern der Welt wurde, ist nicht das schlechteste Zeichen für die Neuinszenierung dieses Werkes an der Hamburgischen Staatsoper. - Der umtriebige Regisseur Johannes Erath und der aufstrebende und hochtalentierte Gastdirigent Patrick Lange machen sich mit ihrer Version der La Traviata daran, die nicht mehr zeitgemäße und mit zu viel Rouge und Plüsch inszenierte hamburgische Interpretation, zu entstauben. Ein Scheitern nehmen sie dabei wie selbstverständlich in Kauf. In den Feuilletons las man in den letzten Tagen teils miserable, teils wohlwollende bis gute Kritiken über die Neuinszenierung. Vorweg sei gesagt: Erath und Lange scheitern nicht an ihrem Vorhaben Verdis Werk zu modernisieren!

Der Regisseur Erath verlegt die Handlung aus dem Paris der 1850er Jahre gemeinsam mit seiner kongenialen Bühnenbildnerin Annette Kurz auf einen Rummelplatz mit vielen Autoskootern, die während des Stückes munter blitzen und blinken und von den Darstellern beliebig oft hin- und hergeschoben werden. Der Rummelplatz ist eine Art Symbol für die Veränderungen, welche die Hauptfigur Violetta Valéry (hinreißend und herausragend gespielt von Ailyn Pérez) - einst eine angesehene Kurtisane - durchlebt. Schwer krank ist sie und wird dann auch noch ganz ernsthaft von einem Manne namens Alfredo Germont (Stefan Pop) umworben. So vieles bewegt sich in ihrem Leben, lässt sie zweifeln und hoffen, lieben und leiden, schlussendlich sterben. Die Geschichte der Oper ist ja hinlänglich bekannt. Interessant ist, dass Johannes Erath keinesfalls den Versuch unternimmt eine andere Figur als Violetta oder Alfredo in den Vordergrund zu rücken beziehungsweise eine andere Figur umzudeuten. Nach wie vor bemitleiden wir Violetta um ihr Schicksal, bewundern und bedauern Alfredo und verachten zunächst und lieben zum Ende hin Alfredos Vater Girogio (brillant: George Petean). Erath versucht vielmehr Violettas Krankheit für ihr unstetes Leben, ihre Zweifel und ihre innige Liebe verantwortlich zu machen. Wie in einer Geisterbahn ziehen an ihr immer wieder weiße Schreckgestalten vorbei, die sich entweder als ihr nahestehende Personen oder völlig Fremde deuten lassen. Diese lassen sie wanken, aber bis zur fabelhaften Schlussszene nicht fallen. - Zwar hat Erath der Oper das eigentliche Vorspiel (Alfredo tritt an das Grab der Toten und hält sie in den Armen) aus A. Dumas Roman Die  Kameliendame von 1848 auf der Verdis Stück aufbaut, beigefügt, aber bemerkt der Zuschauer diese feine Dramaturgie erst zum Schluss. Der Tod und die Vergänglichkeit, beinahe wie auf einem Vanitas-Stillleben, sind in dieser Inszenierung allgegenwärtig und dennoch bis zum Schluss nicht greifbar. 
An der Rückwand der Bühne ist ein Tor angebracht, welches sich mehrfach öffnet und schließt und die Hamburger Choristen entweder freigibt oder verschluckt. Auch wird der zweite Akt von braunen, durch die Luft wehenden, also vergangenen, Blättern eingeleitet. Bis in die letzte Szene überzeugt das Bühnenbild. - Auch die Leistung der Musiker der Staatsoper Hamburg, brillant durch den Abend geführt vom unaufdringlichen, aber ständig präsenten, Patrick Lange, lässt keine große Kritik zu. Bloß stellenweise wirken die Symphoniker etwas gedämpft, in anderen Passagen etwas zu schnell. - Es gehört viel Mut dazu einen Klassiker vielschichtig und neu zu inszenieren. Doch es gehört noch viel mehr Talent und Können dazu daran nicht zu scheitern, sondern die Staatsoper um eine ihrer wichtigeren und im nationalen Vergleich starken Inszenierungen zu bereichern. La Traviata als ein bewegtes Vanitas-Stillleben und gleichzeitig vergänglichen Rummelplatz zu deuten, ist eine gelungene und kluge Abwechslung in der langen Inszenierungsgeschichte dieses Opernklassikers mit Ohrwurmcharakter. Die Sänger bekamen vom Publikum viel verdienten und wohlwollenden Applaus. Trotz teils schwacher Arien jubelten die Zuschauer auch Stefan Pop zu, der - zugegebenermaßen - an den entscheidenden Stellen hellwach war und vor allem im Duett als zurückgenommener Gegenpart überzeugen konnte. Hervorzuheben ist nicht nur die fabelhafte Gesangsleistung von Ailyn Pérez, die auch schwierige Passagen der komplexen Verdi-Partitur mühelos sang. Auch ihr Spiel wirkte sehr überzeugend. Vor allem ihre Schwindsucht mimte sie gekonnt.